Las Hurdes (Kurzfassung)

Ein Filmprojekt von Mattias Caduff

Produktion: Andres Pfäffli, venturafilm

 

1. Ein Land der Legenden

Las Hurdes ist eine Berggegend im Norden der spanischen Region Extremadura nahe der portugiesischen Grenze. Das teils hügelige, teils gebirgige Land ist sehr trocken. Im Sommer wird es von Waldbränden heimgesucht. Vor allem in den Las Hurdes altas ist das landwirtschaftlich nutzbare Land sehr knapp. Nur circa 8000 meist alte Menschen leben in den verstreuten Dörfern. Die Jungen wandern mangels Arbeit in die Großstädte ab. Europäische Entwicklungsprogramme versuchen die Landwirtschaft zu fördern. Der Tourismus steckt noch in die Anfängen.

Außerhalb Spaniens würde wohl kaum jemand Las Hurdes kennen, wenn nicht der bekannte Regisseur Luis Buñuel einen Dokumentarfilm über diese Gegend gedreht hätte. "Land ohne Brot" (1933, 30min) führt die Zuschauer in eine Art Hölle auf Erden. Wie kaum ein zweiter Film zwingt er uns erbarmungslos, dem Elend ins Gesicht zu schauen. Hunger, Krankheit und Tod prägen das mittelalterliche Leben der Hurdanos. Das jedenfalls ist die brutale Botschaft jenes Dokumentarfilms. Dem Film liegt eine anarchistisch-surrealistische Grundhaltung zugrunde. Er wendet sich gegen die Politik des jungen republikanischen Staates, ohne selbst eine Alternative aufzuzeichnen. Ab 1936 wird "Land ohne Brot" ironischerweise zur Unterstützung der kritisierten Republik im Kampf gegen Franco eingesetzt. Nicht zuletzt wegen der Kameraarbeit von Eli Lotar gilt "Land ohne Brot" heute als ein wichtiges Zeugnis der Filmgeschichte.

Aber nicht nur Luis Buñuel interessierte sich für das abgelegene Las Hurdes. Spätestens seit dem 17.Jahrhundert reisten Wissenschaftler, Literaten und Ärzte in jenes Land hinter den Bergen, über das allerlei Legenden kursierten. Sie erzählen von einer primitiven und naturverbundenen Bevölkerung jenseits aller Zivilisation. Las Hurdes wurde zu einem "Land der Geschichten". Was aber steckt hinter diesen Geschichten, fragt man sich. Erzählen sie die Wahrheit?

Die Hurdanos selbst sind jedenfalls nicht glücklich über jene "Legendas negras", die bis heute ihre Wirkung tun. Erwähnt man im Gespräch den Namen "Buñuel", so beginnen sie zu schimpfen: "Ein Lügner war dieser Buñuel!" Uralte Konflikte zwischen Stadt und Land brechen auf: "Was wisst Ihr Städter schon von unserem Leben hier in Las Hurdes! Das interessiert Euch doch gar nicht! Ihr erzählt über uns, was Ihr wollt." - Den Besuchern zeigen die Einheimischen ihre ehemaligen Häuser, fensterlosen Steinhütten. Sie werden heute nur noch als Ställe benutzt. Am Dorfrand entstehen seit den Fünfzigerjahren neue Häuser mit dem Geld, das die Männer im Ausland, oft auch in der Schweiz, verdienten. Wenn man Glück hat, beginnen die Hurdanos eigene Geschichten über ihre Heimat zu erzählen. Auch diese handeln oft von der Armut. Aber sie klingen anders als die Geschichten der Fremden. Sie machen deutlich, weshalb die Hurdanos trotz aller Schwierigkeiten bis heute in ihren Dörfern geblieben sind. Sie hängen an ihrem Land.

 

2. Das Filmprojekt über Las Hurdes

Das Filmprojekt von Mattias Caduff versucht, ein Porträt von Las Hurdes zu zeichnen. Dies kann aber nur gelingen, wenn man verschiedenste Blicke auf Las Hurdes wirft. Die widersprüchlichen Legenden, uralte und aktuelle, ergeben erst dann ein ausgewogenes Bild, wenn sie miteinander und gegeneinander erzählt werden. Eine solche "Konfrontation der Geschichten" will der geplante Film inszenieren.

Der Film konzentriert sich auf die Las Hurdes altas, genauer auf jene Dörfer rund um Nuñomoral, die auch in Luis Buñuels Film die Hauptrolle spielten (Aceitunilla, Fragosa, Martinandrán). In Interviews mit den heutigen Dorfbewohnern soll ein detailliertes Bild des gegenwärtigen und vergangenen Lebens in Las Hurdes altas gezeichnet werden. Den zahlreichen existierenden Legenden soll damit das "Eigenbild" der heutigen Bewohner gegenüber gestellt werden.

Dieses "Eigenbild" der Hurdanos, das übrigens ebenfalls Legendencharakter haben kann, wird im Film also konfrontiert mit einigen der zahlreichen "Fremdbildern". An erster Stelle steht natürlich der Dokumentarfilm von Luis Buñuel. Aber es gibt noch weitere Berichte über Las Hurdes. Erwähnt seien hier nur ganz kurz die Texte von Miguel de Unamuno, Maurice Legendre, Gregorio Marañon und José María Albiñana y Sanz, dem Gründer der faschistischen "Partido Nacionalista Español". Sie alle bereisten Las Hurdes und schrieben über das Land. Ihre Berichte fielen deshalb so unterschiedlich aus, weil ihre Hintergründe und Interessen sehr verschieden waren. Fast alle neigten dazu, Las Hurdes zu instrumentalisieren, zum Beispiel als Metapher für Spanien als Ganzes. Es ging ihnen oft weniger um die Beschreibung einer konkreten Bergregion, als viel mehr um die Frage nach der Identität Spaniens kurz vor dem Bürgerkrieg.

 

Gregorio Marañón

Luis Buñuel

In "Mein letzter Seufzer" (1982) schildert Luis Buñuel, wie er Gregorio Marañón, der u.a. Vorsitzender des "Patronato de las Hurdes" war, vergeblich um Unterstützung für seinen verbotenen Film "Land ohne Brot" bat:

Marañón: "Weshalb eigentlich immer das Hässliche, das Unangenehme zeigen?! Ich habe in Las Hurdes Karren voll Korn gesehen! - Weshalb zeigen Sie nicht die Volkstänze von La Alberca, die zu den schönsten der Welt gehören?" Buñuel: "Wenn man den Bewohnern glauben will, dann besitzt jedes land die schönsten Volkstänze der Welt. - Aus Ihren Worten spricht ein ordinärer und abstossender Nationalismus."

 

3) Die Form des geplanten Films

Die Form des geplanten Films ist ungewöhnlich und gibt ihm ein unverwechselbares Aussehen: Filmausschnitte aus "Land ohne Brot", die erhaltenen Schnittreste des Buñuelschen Films und das Manuskript des Filmkommentars, Fotos von der Reise Alphonso XIII nach Las Hurdes, Karikaturen und Karten bilden das historische Bildmaterial. Diesem Material werden heutige Filmaufnahmen aus Las Hurdes gegenüber gestellt.

Diese heterogenen Materialien brauchen ein Gefäß, das sie zusammenhält. Dazu dienen "Animationen": Die historischen Figuren, wie zum Beispiel Albiñana, Buñuel oder Marañon, treten in Gestalt von künstlich animierten Figuren auf, deren Dialoge auf historischen Quellen, wie Tagebüchern oder Briefen, basieren. Auf diese Weise können Personen, von denen es kaum Bilder gibt, zum Leben erweckt werden. Die Filmerzählung wird insgesamt flexibler und anschaulicher. Es wird aber stets klar bleiben, dass es sich bei diesen Animationen um "Modelle der Wirklichkeit" handelt. Die konkrete Form dieser zwei- oder dreidimensionalen Animationen steht noch nicht fest. An ihr wird gearbeitet. - Der Film wird als Kinofilm geplant und soll eine Länge von circa 75 Minuten haben.

 

4) Mattias Caduff: Lebenslauf

1962 geboren in Zürich

1983-90 Studium der Malerei und Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf,

Abschluss des Studiums als Meisterschüler

1992-94 Aufbaustudium an der Kunsthochschule für Medien in Köln in den Bereichen Medienkunst und Film/Fernsehen

1996-2003 Lehrtätigkeit im Vorkurs der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich im Fach Film/Video

Lebt und arbeitet als Bildender Künstler und Filmemacher in Basel

 

5) Mattias Caduff: Filmografie

1994 "Blindnis" (16mm, 26min), Dokumentarfilm über die Wahrnehmung; Premiere an der Duisburger Dokumentarfilmwoche, 1994; "Blindnis" wurde von der Kunsthochschule für Medien Köln für den Studentenoskar in Los Angeles vorgeschlagen. Schweizer Premiere auf den Solothurner Filmtagen, 1995.

2000 "Gespräch im Gebirg" (16mm, 59min), Dokumentarfilm über den Lyriker Paul Celan; Premiere an der Berlinale 2000 im "Internationalen Forum des jungen Films"; ausgezeichnet mit der Studienprämie des Bundesamtes für Kultur und mit der "Auszeichnung für Filme 2000" der Stadt Zürich; Prädikat "besonders wertvoll" der Filmbewertungsstelle Wiesbaden. Schweizer Premiere auf dem internationalen Dokumentarfilm-Filmfestival "Visions du Réel" in Nyon, 2000.

2002 "Peiden" (Video, 24min), Dokumentarfilm für das rätoromanische Fernsehen über die Bevölkerung Peidens, des Heimatorts von Mattias Caduff; Premiere an der Duisburger Dokumentarfilmwoche, 2002; ausgezeichnet am internationalen Dokumentarfilm-Filmfestival "Visions du Réel" in Nyon mit dem Preis der SSA/Suissimage.

 

@ Mattias Caduff, Basel, 2005

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