Gespräch
Im Gebirg - Die Sonne und nicht nur sie
Mattias
Caduffs filmische Celan-Hommage
Von Kerstin Decker
Es ist das einzige Stück Prosa, das Paul Celan selbst zur Veröffentlichung
freigab. "Gespräch im Gebirg", entstanden 1959. Der Schweizer Mattias
Caduff sagt, er habe es nie verstanden. Was macht man, wenn man eine Erzählung
nicht versteht? Weglegen. Aber Caduff las sie nochmal. Immer noch nichts.
Da griff er zum allerletzten Mittel. Er drehte einen Film. So gibt es
"Gespräch im Gebirg" jetzt doppelt. Einmal von Caduff, einmal von
Celan.
Filmische Deutschstunden sind
natürlich mindestens so problematisch wie die Deutschstunden früher
in der Schule. Ist nicht alle Literatur, die man einmal in der Schule
lesen musste, ein bisschen verloren? Und die Literatur erst, auf die das
erbarmungslose Augenmerk der Germanisten fällt? Nun also ein Filmemacher.
Er schreibt den Anfang groß an die Wand und liest laut vor: "Eines
Abends, die Sonne, und nicht nur sie, war untergegangen, da ging, da trat
aus seinem Häusel und ging der Jud, der Jud und Sohn eines Juden,
und mit ihm ging sein Name ..." Zerlegen oder zusammensetzen?
Überhaupt dürfte
kein anderer als Celan "die Sonne, und nicht nur sie, war untergegangen"
schreiben, und so wie Caduff das vorliest, im Hinschreibe-Rhythmus und
eine Spur zu gemütvoll, merkt man auch, wie riskant das war. Immer
noch kein Verstehen. Also zieht sich Caduff große gelbe Schuhe an,
malt weiße Striche aufs Parkett und tritt mit den gelben Schuhen
jede einzelne Silbe in den Boden: " ... da ging er also und kam, kam daher
auf der Straße, der schönen, der unvergleichlichen, ging wie
Lenz durchs Gebirg ..." Jetzt sehen wir einen Jogger an einem Schweizer
Straßenrand - Lenz? -, und Caduff singt: "Bergvagabunden sind wir".
Oh nein, Büchners Lenz
ging ganz anders durchs Gebirg, lautlos beinahe, gänzlich unschweizerisch.
Caduff weiß das. Aber er ist nun mal dabei, alle möglichen
Bedeutungsebenen auszuloten. Darum wird er nachher, ungefähr bei
der Stelle: "Still wars also, still dort oben im Gebirg. Denn wenn der
Jud daherkommt und begegnet einem zweiten, dann ist's bald vorbei mit
dem Schweigen, auch im Gebirg" eine Buchstabensuppe kochen. Eine Buchstabensuppe
mit Schnittlauch. Denn auch Erzählungen wie diese bestehen zuletzt
- aus Buchstaben. Und er wird es nicht versäumen, die Faltung der
Alpen ("Weißt du. Weißt du und siehst: Es hat sich die Erde
gefaltet hier oben ...") an einem Stapel T-Shirts zu demonstrieren.
Prosa für die Herzländer
Zerlegen oder zusammensetzen?
Caduff hat einen Fehler gemacht. Er wollte seinen Celan Silbe für
Silbe, Satz für Satz. Aber Gedichte geben sich nicht Silbe für
Silbe. Geschichten wie diese auch nicht. Caduff hätte eine Flasche
Rotwein trinken und es dann noch einmal versuchen sollen. Ineinanderfließen
müssen diese Worte. Und bloß keine Pause machen. An wen richtet
sich denn solche Prosa? An den Verstand? Oder an die "Herzländer",
wie Celan sie einmal nannte?
Eine Erzählung wie diese
steht für sich, oder sie ist nicht gut. Und doch: Ohne Caduff wüssten
wir wohl nicht, dass "Gespräch im Gebirg" entstand, nachdem sich
zwei Juden, zwei "Geschwisterkinder", im Gebirg nicht trafen. Im Sommer
1959 wollte Paul Celan mit Theodor W. Adorno über dessen These reden,
nach Auschwitz Gedichte zu schreiben sei unmöglich. Sie waren in
Sils Maria verabredet, dem Ort, wo Nietzsche den Gedanken von der ewigen
Wiederkunft fand. Adorno kam später, Celan reiste schon wieder ab.
"...und ich weiß, ich weiß Geschwisterkind, ich weiß,
ich bin dir begegnet, hier, und geredet haben wir, viel, und die Falten
dort, du weißt, nicht für die Menschen sind sie da und nicht
für uns, die wir hier gingen und einander trafen ..."
erschienen am 22.09.2002 in:
Der Tagesspiegel (Berlin)
2000 ©
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