"écriture nocturne" in Duisburg

Die ca. 150 Zeichnungen (51x73cm) sind parallel zum Film "Blindnis" entstanden. Anlässlich der "Duisburger Filmwoche 1994" wurde davon eine Auswahl von 22 Zeichnungen gezeigt.

Das Auge ist in viel stärkerem Masse einem umfassenden kulturellen Diktat unterworfen als die Hand und ihr Tasten. Ich versuchte, mich dieser Herrschaft zu entziehen, indem ich mit geschlossenen Augen oder in grosser Dunkelheit zeichnete. Ich machte dabei die Erfahrung, das die Zeichnung, ob sie nun mit geschlossenen oder offenen Augen entsteht, viel mehr mit der Hand, dem Tasten und der Geste zu tun hat als mit dem Sehen. Die eigentliche Arbeit des Zeichnens geschieht blindlings. Das Auge sieht sich erst danach einem fertigen Bild gegenüber. Es liest ein Bild, das die blinde Hand geschrieben hat.

Anmerkung zum Begriff "écriture nocturne": Joseph-Julius Barbier (1767-1841), ein französischer Offizier, entwickelte am Anfang des 19. Jahrhunderts ein Alphabet aus erhabenen Punkten, das er "écriture nocturne" nannte. Es sollte der Verständigung der Truppe bei Nacht dienen. Sein System erwies sich jedoch als zu kompliziert. Deshalb versuchte er nachträglich, daraus eine Schrift für Blinde zu schaffen, aber auch dieser Versuch scheiterte an der zu grossen Zahl von Punkten, die Barbier für einen Buchstaben vorsah.

Erst Louis Braille, der blind war und deshalb über mehr Erfahrung in diesen Dingen verfügte, entwickelte aus Barbiers Ansätzen eine brauchbare Punktschrift, indem er die "écriture nocturne" den Ansprüchen der Blinden anpasste.

Selbst die Blindenschrift also ist, wie so vieles, aus einer Kriegstechnik entwickelt worden, als Abfallprodukt sozusagen.

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© Ekko von Schwichow (Fotos)

© Mattias Caduff, Düsseldorf, 1994

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